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07.11.19

Spezifität und seine Missverständnisse

Ein kontroverses Thema im Sport-und so auch im Volleyball- ist alles was sich um "Spezifität" handelt. Hier kommt es zu vielen Missverständnissen. US-Forschungen im Bereich Motor-Learning beweisen, dass man eine Sportart spezifisch trainieren muss, um darin besser zu werden.


Das heißt so viel wie: Durch Volleyaball wird man am schnellsten im Volleyball besser. Ist natürlich plausibel und in einer künstlichen Testreihe unwiderlegbar. Als Beispiel im Volleyball wird dabei Baggern gegen eine Wand im Vergleich zum Baggern eines über das Netz fliegenden Balles genommen. Ziel ist die Annahme-Qualität. Dies bringe nichts für die Annahme, da wichtige Faktoren (Ballflug, Netz, Antizipation) nicht vergleichbar wären.

Gut wäre, wenn dieses Ergebnis dazu führt, dass alle Volleyballtrainer sich überlegen, ob ihre Übungen auch wirklich der beste Weg sind, um eine bestimmte Sache zu verbessern. 
Schlecht wäre, wenn man nicht zwischen Niveaus und Altersgruppen unterscheidet, um ein Urteil über eine Übung zu fällen. Übungen können für kleine Kinder absolut volleyballspezifisch sein und für fortgeschrittene Spieler zu wenig spezifisch.

Die Ergebnisse auf eine komplette Sportwelt zu übertragen ist zwar im Grunde richtig, die Interpretation der Ergebnisse ist aber leider oft irreführend. Es geht so weit, dass in manchen Foren Trainer behaupten, Beachvolleyball zu spielen bringe nichts für Hallenvolleyballer. Versteht mich nicht falsch. Dass Hallen-Nationalspieler das ganze Jahr Hallenvolleyball spielen sollten, finde ich plausibel. Aber für alle Anderen ist das psychologisch und somit auch motorisch langfristig ein zu eintöniger Trainingsreiz. Volleyball hat viele schlechte Voraussetzungen. Aber eine geniale Eigenschaft ist die wunderbare Vielfalt der äußeren Gegebenheiten. Es wäre dumm, dies nicht zu nutzen.
"Spezifisch" heißt so viel wie "charakteristisch". Das bedeutet, dass wichtige Punkte im Spiel erhalten bleiben müssen. Im Beachvolleyball wird über ein Netz gespielt, es wird gebaggert, gepritscht, gestemmt, angegriffen, gesichert, verteidigt etc. ... NATÜRLICH ist das spezifisch für die Spielfähigkeit (die wichtigste aller Fähigkeiten). Auch wenn der Ball nicht genau der selbe, der Untergrund anders und das Feld kleiner ist. Ja, manchmal bläst auch etwas Wind. Natürlich lernt jemand der Beachvolleyball lernt auch Volleyball. Andersrum sehe ich mehr Schwierigkeiten. Und zwar dann, wenn jemand im Hallenvolleyball sehr spezialisiert auf seiner Position agiert.Aber dennoch sehe ich einen gewissen Transfer.
Ob etwas 100% spezifisch ist oder nur 60%, ist nicht der alles entscheidende Faktor in einem Sportspiel. Ansonsten würde man in der Halle nur 6 vs 6 spielen (das mag für den absoluten Hochleistungsbereich sogar möglich sein). Dann kann man aber kaum aus seinem aktuellen Trainingslevel raus. Wenn wir uns beispielsweise an andere Geschwindigkeiten gewöhnen wollen, müssen wir Übungen erstellen, die höhere Geschwindigkeiten auf den Ball bringen als wir in unserem spezifischen Trainingsspiel schaffen. Vor allem im unteren und mittleren Leistungsbereich ist es schwer, Situationen im Training zu schaffen, wie sie nur 1-2 Ligen höher vorkommen. In so einem Fall muss man auch mal ein paar Prozentpunkte an Spezifität aufgeben.
Trotz meiner Abschwächung dieser Spezifitäts-Philosophie, sollte man als Trainer immer im Hinterkopf behalten, für was man eigentlich trainieren will; in was man besser werden will. Meistens denkt man zu kompliziert. Wenn man Annahme trainieren will, und man kann bereits frontal und seitlich baggern, macht es Sinn einen Aufschlag zu machen und nicht gegen die Wand zu baggern.

Wenn man aber noch gar nicht baggern kann, macht es Sinn auch mal an einer Wand zu üben. Wenn man Surfen lernen will, macht es ja auch Sinn, wenn man davor Schwimmen lernt. Auch wenn es nicht spezifisch für das surfen ist.
PS: Da das gegen eine Wand baggern in der Motor-Learning Studie als so schlecht dargestellt wird: Ferdinand Tille, einer der besten Deutschen Liberos, hat als kleines Kind immer auf sein Hausdach gebaggert. Er hält das heute noch für das spezifischere Annahmetraining als Fernsehen ; )